Texte über Kunst und Politik

Text zu den Kille-Drucken „Bach-Bild“ (2023)

Johann Sebastian Bach war für die Stadtoberen Leipzigs bei der Vergabe der Stelle des Thomaskantors nur dritte Wahl. Er war also zu Lebzeiten durchaus nicht anerkannt als der universale Geist, der er war. Was für sie Gebrauchsmusik war, um die Ordnung und Das Machtgefüge in administrativer und liturgischer Hinsicht aufrecht zu erhalten, war für ihn innigster Ausdruck seines Glaubens und Lebensinhalt. weiter

Konzept und Malerei (2023)

Kann Malerei ein Konzept beinhalten? Malerei muss ein Konzept beinhalten! Das Konzept als Selbstzweck (Konzeptkunst) hat ausgedient. Ist Malerei als Medium überhaupt noch von Interesse? Nur dann nicht, wenn man ihre verdichtende, auch subversive Kraft ablehnt. Es wäre ein Leichtes, entzöge man so der Kunst den substantiellen und komplexen Gehalt. Ein simples Bejahen des zeitgeistigen Mainstream beschnitte jede künstlerische Innovationskraft. Der Abstand zur Gängigkeit kann nicht anders als anstrengend sein. Sollte die Kunst keine Herausforderung mehr stellen, nur noch Entertainment sein? Wenn Kunst dient, dann zur Individualisierung, nicht zur Gleichheit; zur Unterscheidung, nicht zur Gleichmacherei. Das Unvorhergesehene, das Unkontrollierbare, sollte nicht mehr Teil unseres Lebens sein? Verflachungstendenzen aller Orten sollten weiter Unterstützung erfahren? weiter

 

1) Unvorhersehbarkeit, Spontaneität, Zufall

 

Welches Konzept kann nun der Malerei innewohnen? Es muss ein Konzept sein, das aus der Realitätsbefragung und dem Freiheitswillen der Kreativität erwächst. Was aber ein Konzept nicht leisten können sollte: der Unvorhersehbarkeit den Existenzraum streitig zu machen. Ganz im Gegenteil: ein Konzept sollte aus den Eigenschaften, die der Wirklichkeit zugrunde liegen, erstellt werden. Und dazu zählt natürlich der Raum, den die Unvorhersehbarkeit einnimmt in hervorragender Weise. Denn, ob wir es Schicksal oder Zufall nennen – das Unerwartete prägt unsere Erfahrung von Beginn an. Es lassen sich mit zunehmender Erfahrenheit Dinge vorausahnen, aber Unwägbarkeit und Zufall schaffen es sogar, einen vermeintlich „siebten Sinn“ zu unterlaufen. So wäre also einem Lebenskonzept der ihr innewohnenden Spontaneität nicht abgeneigt, denn sie ist ihr vitales Schwungrad. weiter

 

2) Gesellschaftliche Relevanz, politische Bezugnahme

 

Was außer dem Zufall noch konzeptimmanent sein muss, ist die gesellschaftliche Relevanz von Kunst. Man könnte meinen, die hätte sie immer – eine Relation zur Zeit und ihren Zeitgenossen. An wen sollte sie sich anders wenden als an die Gesellschaft? Und das tut sie mit oder ohne bewusstem Willen – entwirft immer ein Gesellschaftsbild, ob gewollt oder nicht. weiter

 

3) Bildüberflutung

 

Nach Zufall und gesellschaftlicher Relevanz wäre als dritter Punkt das Konzept der Bilderflut zu nennen – eine Realität, der man ebenfalls nicht ausweichen kann. Begegnet man ihr offensiv, entdeckt man strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Ikonografie der Vergangenheit und der Gegenwart. Was zunächst nur radikale Beliebigkeit erkennen lässt und man im Gefühl der Belanglosigkeit zu ersticken droht, entpuppt sich als arbeitsintensive Reise ins Innere der Bilder – man wendet sich also der Arbeit zu. Durch die Malerei beschäftigt man sich mit einer Auswahl von Bildern eingehender, das heißt, man durchforstet sie regelrecht auf einen Sinn hin, den sie endlich strukturell (und damit auch inhaltlich) offenbaren – nachdem man die Bemühung beinah als aussichtslos verloren im Ungeordneten, im Unwägbaren, im Niemandsland aufgegeben hätte. Der Prozess der Bildbefragung ist so nur in der Malerei möglich. Man verwandelt sich ein Bild an, indem man es immer wieder durch radikale Entscheidungen hinterfragt und dadurch verwandelt sich Material in Materie, verwandelt sich auch der Maler, es wird die Betrachtung noch genauer und eindringlicher. Durch Zerstörungen und Korrekturen bemerkt man Dinge, die man vorher nicht bemerkt hat – und darüber hinaus wird die Gesamtstruktur des Bildes stimmig, zeigt ihre organische Logik – fast überfallartig, nachdem lange Zeit alles in einer sinnleeren Öde verharrte. weiter

 

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Kitsch und Gewalt (2019)

Kitsch und Gewalt – eine Janus-gesichtige Konstellation

In Mexiko wird eine Telenovela über eine schwule Liebesgeschichte gedreht, obwohl nicht nur in Mexiko die Gewalt gegen Homosexuelle drastisch zunimmt, sondern weltweit propagandistisch immer mehr eingefordert und angefacht wird. Kann man sich diese Raub- und Mörderbanden vorstellen, die das Land verheeren, wie sie, nachdem sie Jagd auf Frauen, Kinder, Männer, Schwule, Lesben, kleine Handeltreibende, die keine Abgaben zahlen (konnten), schlicht auf alles, was sich bewegt, machten – wie sie nach getaner Arbeit vor dieser Fernsehsoap sitzen – und herzzerreißend im Kitsch baden? Man kann. Natürlich ist sie hauptsächlich zur Einlullung des braven Volks produziert, aber wer steht dem braven Volk näher als die einfache Mafia, wenn seine Regierung dem Geldmarkt und den Investoren nahe steht (zum Beispiel Obrador und BlackRock – und zwar schon vor seiner Wahl zum „sozialistischen“ Präsidenten). ...

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Der Anti-Trendsetter (2020)

Die neue Unübersichtlichkeit, die neue Nicht-Offensichtlichkeit

Trotz aller inflationärer Kunstproduktion gibt es wahrscheinlich recht wenig wirkliche Kunst. Wirkliche Kunst?  Gleich seelenvolle Kunst, Kunst ohne Kompromisse. „Was ist das für ein althergebrachter Kunstbegriff?“ mag sich der Trendsetter fragen – und wird damit Recht haben.

Ohne Seele keine Stele.
Ohne Begriff kein Pfiff.
Ohne Alter kein Psalter.
Ohne Verwalter kein Schalter.
Ohne Schlachthaus keine Haftpflichtversicherung.
Ohne Spekulanten keine Umwelthilfe.

 

Natürlich ist es nicht neu, dass wir von Bildern überflutet werden. Natürlich ist es nicht neu, dass eine Auswahl aus den Bildern Not täte, aber kaum geleistet werden kann. ...

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Der Propagandist? – Der Antipropagandist! (2020)

Dass Kunst reine Propaganda sei, würde sich dann auch auf die Abstraktion oder die Konstruktion beziehen, als Propagandistin der reinen Form, die des Menschen Wahrnehmung, und dadurch ihn selbst, verändert, oder einer mehr oder weniger spekulativen Spiritualität, die, in ihr angelegt, uns der Schicksalshaftigkeit des Seins enthebt. Demnach hätte also jede Form von Kunst, so „rein“ sie auch sei, einen außerhalb von ihr liegenden Inhalt, wofür sie stellvertretend kämpft oder eintritt. Der Vorwurf, der figürliche, gegenständliche Künstler sei immer propagandistisch anwendbar; der abstrakt oder konzeptionell arbeitende befinde sich dagegen in einer Sphäre der Reinheit, Unabhängigkeit von „kunstexternen Inhalten“, hätte so endlich ausgedient. ...

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Malerei nach Jackson Pollock (2019)

Geschichtete KALLIGRAPHIE, durch die ein universeller Raum entsteht, in den aber die menschliche Figur eingeschrieben ist, so wie sie dies auch in chinesischen und japanischen Schriftzeichen fragmentarisch und additiv eingeschrieben ist.

 

Die Frage nach der Freiheit in der Kunst stellt sich jetzt anders als Ende der 50er Jahre, als Pollock starb und ich geboren wurde. Pollocks Befreiung lag in einer, sagen wir, kalligraphischen all-over-Behandlung der Leinwände. Das sah der Kunstmarkt so und deklarierte ihn als ausgebrannt, als er wieder zur Figürlichkeit zurückkehrte (von der er sich nie verabschiedet hatte). Er sagte generell, dass aus dem unterbewussten Vorgang immer zwangsläufig die Figur auftaucht (siehe Brice Mardens Entrüstung und Richtigstellung dieses Sachverhalts in „Cold Mountain“). ...

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Der Dichter Watteau (2019)

Er sei in Sentimentalitäten verstrickt, könnte man zunächst denken, aber es handelt sich um tiefes Mitgefühl kombiniert mit Ironie - um Melancholie der musikalischsten Art. Man könnte denken, es handelte sich um amouröse Anekdoten, doch handelt es sich auch um Schmerz und Peinlichkeiten, die einem jeden Auf-Erden-Wandler unterläuft, die ihn aber von der tödlichen Falle der Perfektion und sterilen Aufgeräumtheit befreit. Er ist ein freier Schicksalsergebener, der unbedarft und offenherzig spielerisch in sein Verhängnis taumelt, aber nie vollständig sein Vertrauen an eine ihm doch gleichmütig bergende Welt verliert. Eine ungerührt umhüllende Natur scheint vom Ansturm der Gefühle einer galanten, etwas naiven Reisegesellschaft geformt - und wölbt sich, Licht und Schatten spendend, über ein aus der Zeit gefallenes Geschehen.

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Der Vermeer-Vergleich (2019)

Auf den ersten Blick erscheinen meine und Vermeers Bilder natürlich als absolute Gegensätze. Hier eine heile, intakte, geschützte Innenansicht einer bürgerlichen Welt – dort eine aufgewühlte, aus den Fugen geratene, verwundete Malerei über eine spekulative Wirklichkeit. Hier die vermeintliche Glätte einer idyllischen Ordnung, dort die verschorfte, aufgerissene Oberfläche einer scheinbar chaotischen Expression. Hier die Stille eines abgeklärten Raums, dort die Unruhe einer unübersichtlichen Sachlage hinter einer brutalistischen Materialschlacht. Hier der Mensch in einem poetischen Interieur, der poetische Mensch in seinem Alltag, seine alltäglichen Verrichtungen stehen still. Wie in einem Dornröschenschlaf erkennen wir Professionen und Stände. Dort der Mensch in der Masse, in der Willkür der Macht. Demagogie, Demonstrationen, Aufruhr, parlamentarische Vorgänge; Industrie, Wirtschaft, Management; Militär, Paraden, Märsche; König, Klerus, Adel, Krieger. Eine „überladene“ Historienmalerei, die niemand bestellt hat, also ohne Auftraggeber, der die Geschichtsschreibung bestimmt, entsteht – gegen die Reduktion des privilegierten und dadurch poetisch geadelten Alltags: es scheint kein größerer Gegensatz denkbar.

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